Modern ist, was gewinnt – Mit dem Rad zum Schachturnier

Auf ins Elsass! Auf an die Mosel und nach Metz! Nach wochenlangem Abwägen konnte ich mich im Juli endlich zu einer Entscheidung für eine Sommerreise durchringen. Das ist aber auch schwer genug – immerhin könnte man ja in die Schweiz fahren, sein Rad mit nach Frankreich nehmen, in Andorra ein Schachturnier spielen – oder sogar alles zusammen?

Schließlich aber buchte ich ein Zugticket nach Freiburg (Abfahrt 05:45 – der Wahnsinn), sah abends im toll verschwitzten, schwülen Freiburg ein ebenso schwüles, verschwitztes wie wundervolles Konzert der Monophonics und durchquerte alsdann mit dem Fahrrad das Elsass, wo ich in Colmar den besten Ziegenkäsesalat der Welt verspeiste, bei Munster mit Kühen zusammen zu Abend aß, und die Quelle der Mosel in Bussang sah. Auf dem Lingekopf besuchte ich ein trauriges Weltkriegsmemorial zu Ehren der vielen Tausend, die dort im ersten Weltkrieg im Stellungskampf um einen Berggipfel umkamen. Ein trauriges Kapitel, und leider nur eines von vielen.


Einst stolz auf dem Kopf getragen: Deutscher Helm am Lingekopf


Nur noch Schweigen

Elsass also, sehr toll, und wenn es noch etwas gab, was die Reise- und Radelfreude trübte, waren es die vielen Tiere, die von tieffliegenden Autos erwischt auf der Straße lagen und ohne Chance ihr Leben verloren hatten. Bitter – es gab Igel, Vögel, Eichhörnchen, Schnecken, taumelnde Schmetterlinge, weitere Igel – und mit jedem weiteren Tier kam die Frage, was wir uns da eigentlich erlauben als Menschen. Sind wir so wahnsinnig, dass wir wirklich alles plattmachen müssen? Die Antwort ist leider wohl ein „ja“. Hoffen wir auf bessere Zeiten für die Natur, irgendwann mal. Auch ohne uns.

Nach einigen rauhen Regenfahrten entlang der Mosel kam ich schließlich wohlbehalten im lothringischen Metz an. Und dort, wie schön, ein Schachturnier – nach 450 Kilometern war ich am Ziel meiner Reise!

 


Ankunft in Metz!

Wie schon im Vorjahr, hatte das Team von EFE Metz (das steht für École Francaise des Échecs – so etwas wie die Französische Version der Sowjetischen Schachschule also) mächtig gewühlt und ein erneut sehr ansprechendes Turnier für rund 100 Teilnehmer auf die Beine gestellt:

– ein internationales Einladungsturnier für Frauen

– gut 10 Gruppenturniere mit je 10 Teilnehmern ähnlicher Spielstärke – ähnlich unserem Hans-Wild-Turnier, nur länger und mit vier Doppelrunden

(Die Seite des Vereins ist https://efe-metz.fr)

Vielleicht hilft es ja bei Turnieren, wenn man das Terrain schon kennt? Jedenfalls wusste ich schon aus dem Vorjahr (in dem ich ein eher maues Resultat hatte), wie der Hase so rein organisatorisch läuft, wo das Büffet ist, wie der Kaffee schmeckt, und was dergleichen mehr ist.

Und so etwas hilft einem ja manchmal, von vornherein gut reinzukommen in einen Wettbewerb. Jedenfalls gewann ich meine erste Partie mit ein bisschen Taktikglück, und konnte auch einen zweiten Punkt noch holen, nachdem mich mein Gegner im Orang-Utan zunächst ausgestoppt hatte, dann aber doch noch etwas Luft ranließ und in Zeitnot schließlich fehlgriff.

Ich war erstaunt und verblüfft – tatsächlich hatte ich mich kaum vorbereiten können (wollen?) auf das Turnier, und war sozusagen vom Fahrradsattel nach sieben Tagen direkt ans Brett gefallen. Offenbar hatte ich damit alles richtig gemacht, denn ich spielte zügig, hatte viele Ideen und genügend Schwung, um auch in sehr wackeligen Stellungen noch gegenantricksen zu können. Unerwartet genug – aber das kennen wir ja alle vom Schach, dass man vorher eigentlich nie sagen kann, wie es denn nun wird.


Besser geht’s nicht

In der dritten Partie gegen den Vorjahressieger Bram van den Berg (ELO 2250) gewann ich nach einigen Kapriolen in der Eröffnung eine Figur … die ich dann aber nach weiteren Kapriolen im Endspiel nicht verwerten konnte – Remis! In der Nachmittagsrunde, kaffeegestärkt und kuchenunterstützt, überzog ich gegen einen belgischen Gegner und sah mich einer traurigen Zukunft gegenüber – doch plötzlich meinte es mein Gegner gut mit mir und wickelte falsch ab. Zwar verlor ich eine Qualität, doch ein Freibauer auf der sechsten Reihe erzeugte zumindest optisch einige Unruhe, und in Verbindung mit wachsender Zeitnot dann am Ende ein ganzer Punkt für mich. Huch! Damit hatte ich schon 3,5 Punkte aus vier Runden, wie konnte das denn sein?

Schnell zurück in die Unterkunft fahren, mit dem Rad den Berg hinauf auf der anderen Seite der Mosel, und dort bei einem Glas Wein im abendlichen Garten über das Leben nachdenken. Eine Lösung fand ich zwar nicht, aber der Wein schmeckte trotzdem, und mit zwei Folgen einer amerikanischen Serie neigte sich der lange Schachtag dann seinem Ende zu.

Nächster Tag, nächster Gegner: ein junger Deutscher! Richard Bethke, mit seinen elf Jahren sogar jünger noch als jung, spielt in der kommenden Saison für Neuberg in der Oberliga – Mensch, Mensch, kann man da nur sagen, da hat die Deutsche Schachjugend wieder ein Talent entdeckt! In Metz gewann Richard 80 ELO-Punkte dazu auf ungefähre 2160.

Die Frage war daher: was tun gegen die Jugend? Wenn man eines weiß über die kommende Generation, dann ist es die Tatsache, dass sich die jungen Leute auf alles und jeden profunde vorzubereiten wissen – Chessbase lässt grüßen, und das ist ja auch gut so. Der kanadische GM Kevin Spraggett empfiehlt als Antwort auf diesen Trend, einfach breiter zu werden mit seinem Eröffnungsrepertoire – nicht nur 1.e4 spielen, sondern auch mal 1.d4, oder so! Das nahm ich mir zu Herzen, und so begannen wir unsere Partie mit …

1.g2-g4

Ich hörte von einem anderen Spieler, der junge Richard meinte später „Ich hatte mich auf b4 vorbereitet, aber dann kam 1.g4“. So kann das gehen …

Am Abend meinte Roland Kleinschroth (Hannover), dass alle Figuren von a1 – e1 incl König und alle Bauern von a – e die ersten 10 Züge gar nicht gezogen hatten! Er meinte, das gibt es wohl nicht so oft 🙂

Hurra, ein Punkt – Glück gehabt jedoch mit der Eröffnung, und dass Richard sich zu schnell zu 6… Dg2 entschloss.

Mittagspause, Spaziergang zum Büffet, etwas in der Sonne dösen (leider nur liegt der Turniersaal direkt neben einer gewaltigen Stadtautobahn – es sah alles hübsch aus mit den vielen Grünflächen und Seen, doch war die Luft voller lauter Autogeräusche). Mit einem Kaffee setzte ich mich dann ans Brett zu Roland Kleinschroth aus Hannover-Eilenriede, meinem Gegner aus der Nachmittagsrunde. Es wurde schnell scharf, und noch schneller stand ich auf Verlust – doch warum auch immer, Roland griff ein-, zweimal fehl, und plötzlich passte alles wieder zusammen in meiner Stellung und ich gewann meinen fünfeinhalbten Punkt im sechsten Spiel.

Grund genug, wieder schnell zur Unterkunft zu radeln und bei einem typisch französischen Rebensaft im Garten (dort gab es nun auch Hühner) über das Leben nachzudenken. Dann zwei Folgen einer amerikanischen Serie, und ab ins Bett. Schach, Schlafen, Garten, Serien – wie wäre es, wenn das Leben immer so weiterginge?

Am nächsten Tag rollte ich mit dem Rad wieder hinunter in die Stadt, um zehn Uhr lauerte der französische FM Antoine Briet auf mich, und nach einigen zu optimistischen Angriffsversuchen hatte ich plötzlich Mühe, meine Stellung überhaupt noch irgendwie „am Laufen“ zu halten. Beide hackten wir einige Züge lang herum, und dann hatte mein Gegner eine großartige Idee:


Man beachte den wundervollen Zug 26…Sd7-e5 – der für Schwarz den Tag rettet!

Remis also – immerhin! Nun lagen der peruanische Spieler Juan Antonio Villar Reymundo (ein ELO-Punkt Bonus allein schon für diesen Namen!) und ich vorne in der Tabelle, und wir trafen passend dazu in der Vorschlussrunde auch gleich aufeinander. Vorher aber ein kurzer Gang zum Mittagsbüffet, etwas dösen in der Sonne bei Autogeräuschen, etwas spazieren – der Rhythmus bleibt gewahrt. Und schon war es 16 Uhr, und die Figuren setzten sich in Bewegung.

Wir spielten lange in soliden positionellen Bahnen, so etwas muss ja auch mal sein. Irgendwann dann waren alle Figuren meines Gegners verknäult und ohne viel Platz am Königsflügel, doch in gegenseitiger Zeitnot ließ ich seine Mannschaft wieder zurück ins Spiel, und stand .. schlechter?. Im anschließenden Endspiel aber ging ich nicht unter, sondern gewann eine Figur! Dreißig weitere Züge mit Inkrement, und nun hatte ich sogar eine ganze Mehr-Dame. Und dennoch hätte es immer noch gut Remis werden können.


Was ist hier los? Und nur noch 30 Sekunden pro Zug.

Erst nach einem letzten impulsiven Zug musste mein Gegner doch noch die Waffen strecken.

Über vier Stunden intensives Ringen, Hakeln, Drücken, Hoffen, Bangen lagen hinter uns – in welchem Sport gibt es das noch? Höchste Zeit also wieder für die Rückfahrt zur Unterkunft, im Garten im Stillen sitzen (es war schon dunkel, und die Hühner schwiegen), und dann noch ein bisschen TV im Internet (amerikanische Serie).

So war das in Metz! Ein gleichmäßiger Tagesrhythmus ist wichtig für die Gemütsruhe, denn nichts irritiert die Schachspielerseele mehr als eine unvorhergesehene Begebenheit (z.B. fehlender Kaffee im Turniersaal) oder Stress (Wecker klingelt nicht?).

Wenn es einmal läuft, dann läuft es (was leider umgekehrt auch oft gilt) – die neunte Runde kam, und nach gar nicht so vielen Zügen gab Tim Biehl aus Saarbrücken auf. Hurra! Mit reichlich unverhofften 8 Punkten gegen neun starke Spieler hatte ich das Turnier gewonnen!


Weiß gewinnt – mit welcher Idee? (Lösung am Ende)

Ein kleiner Wermutstropfen war, dass ich nicht bis zur Siegerehrung bleiben konnte, da ich für die Rückfahrt schon einen festen Zug von Koblenz nach Bremen gebucht hatte (der dann aber 2 Stunden Verspätung hatte).
Die Franzosen von EFE Metz indes waren großzügig, und gaben mir nicht nur das Preisgeld, sondern auch einen schönen Pokal mit auf den Weg – zumindest beim Pokal taten sie das aber mit einigem Bauchweh. Und ja, man soll schon bleiben bis zur Siegerehrung, wenn es irgendwie geht.

So war das also – fünf Tage Schach in Frankreich, Käse, Wein, eine tolle Atmosphäre. Vive la France – es ist gut, in diesen eigenartigen Zeiten mal im Ausland vorbeischauen zu können, und Verbindung zu haben zu Menschen mit einem Blick von der anderen Seite der Grenze in Europa. Irgendwie gehören wir doch alle zusammen!


Diese Elsasser: Kunst am Bau(m)

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Les Monophonics aus LA

Lösung zur Partie Steffens – Biehl: 13.Ta1-c1, Lf8-d6 14.Tc1xc8! 1:0

Dieser Artikel erschien zuerst 2017 auf www.schach-welt.de.

Olaf Steffens

FIDE-Meister seit 1997, seit 2007 Spieler für Werder Bremen in der Zweiten Bundesliga, Oberliga und Landesliga. Größte Erfolge: Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, Bremer Pokalsieger 2013! Größte Misserfolge: Werd´ ich hier lieber nicht sagen! Diplom-Handelslehrer, ich unterrichte an einer Bremer Berufsschule Englisch, Buchführung und Wirtschaft. Lest weiter hier: https://veganeschachkatzen.de/ueber-mich/

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