Blaubär Begins: Mein Tanz mit sieben Damen

Silvester 2002 – sechs Schachspieler aus Schleswig- Holstein betreten einen Turniersaal in Hastings, um für den letzten Abend des Jahres noch ein paar Punkte zu besorgen (versuchsweise).
In der hier vorgestellten Partie erscheint dabei nach wenigen Zügen der „Blaubär“ auf dem Brett (1.e4, b6 2. d4, La6!), der von allerdings unberufener Lübecker SV- Seite auch gerne mal als „Blauwal“ oder gar „Waschbär“ verunglimpft wird.

Das tiefe strategische Konzept dieser Eröffnung („Alles auf die weißen Felder!“) entspringt allerlei im Bremer Lagerhaus unter Blitzschach-Bedingungen durchgeführten Feldstudien. Es erfährt in dieser Partie einen beeindruckenden Höhepunkt und lässt den Vater des Bären in einem turbulenten Endspiel immerhin noch mit einem halben Punkt davonkommen …

Die Seebrücke von Hastings

Goodger, Martyn (2140) – Steffens, Olaf (2280)  , Hastings 2002/2003 (4), 31.Dezember 2002
[Uwe,J]

1. e4 b6 2. d4 Ba6!?

Da ist er, der Blaubär auf a6. Das Ausrufezeichen stammt von mir, das Fragezeichen von Ralf Christ (Lübecker SV!), der das Treiben des Blaubären schon seit einiger Zeit kritisch verfolgt hat – und mir einen Tritt ans Schienbein versprach, sollte ich ihn in Hastings noch einmal spielen … gesunde Härte.

3. Bxa6

Nach 3.c4 kann … e5 folgen, mit der Idee 4.dxe5, Dh4! (dynamisch)

… Nxa6 4. Qe2 Qc8


Fazit: Schwarz hat den guten weißen Läufer (den „Tarrasch- Läufer“) abgetauscht und kann nun prinzipiell sorgenfrei in die Zukunft sehen. Das weiße Zentrum wird bald angenagt. (Hinweis: Alle Diagramme mit Dank an Chessbase Online.)
Einschätzung von Ralf jedoch: fünf Züge sind gespielt und Schwarz hat nur schlechte Felder für seine Figuren gefunden.

5. Nf3 c5 6. d5 g6 7. Nc3 Bg7 8. e5

Diese Stellung ist nicht, was Schwarz sich gewünscht hat. Ob etwas schiefgegangen ist? Und wohin soll der Sg8? Auf 8… e6 folgt Sb5, auf 8…d6 … naja, und auf 8…. Sh6 kann folgen 9.Lg5, Sf5 10.g4. Darum erst einmal Figuren umbauen …

… Nc7 9. Bf4 Nh6 10. 0-0-0 e6 11. d6 Na6 12. Qd2 Nf5 13. g4 Qc6

An dieser Stelle war ich ganz guter Dinge (wenn auch zu Unrecht, wie sich zeigen wird). Ich dachte nach über 14.De2, Sd4! 15.Sxd4, cxd4 16.Sb5, Sb4 17.Sc7+, Kd8 18.Sxa8, d3 19. Dd2, dxc2 20. Te1, Sxa2 mit matt, und fand auch die mit 14.gxf5 beginnende Partievariante gar nicht so beängstigend.
Mein Gegner allerdings hatte hier genauer gerechnet.

14. gxf5

Darüber hatte ich zwar nachgedacht, fand es aber gar nicht so ganz schrecklich für mich. Das muss aber nicht bedeuten, dass es nicht trotzdem schrecklich für mich IST. –
Auch gut ist hier 14. De2, Sd4 15.Sxd4, cxd4 16.Sb5, Sb4 17. Sxd4, Sxa2 18.Kb1, Da4 19.Db5

… Qxf3 15. f6 Bf8 16. Rhg1 h5 17. Rg3 Qc6 18. h4

Mein Gegner Martyn Goodger verfolgte ab hier systematisch den schlauen Plan, den schwarzen Läufer auf f8 für den Rest der Partie einzumauern – und mit ihm zusammen auch den Turm in der Ecke. Ich erkannte die Gefahr jedoch noch nicht und wunderte mich nur, weshalb Weiß alle Bauern auf die Farbe meines Läufers stellte – das soll man doch eigentlich nicht? (Ich weiß zwar nicht viel über Endspiele, aber DAS eigentlich schon).


Über den Dächern von Hastings
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Bleibt dran – wir setzen fort, nach etwas Werbung!

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Henry Mance: Mit Tieren leben

Ein lesenswertes, anschauliches Buch mit Begegnungen aus allererster Hand:


Aus der Empfehlungsliste für Sachbücher der ZEIT, Dezember 2021

„Wir schütteln oft den Kopf und stellen fest, dass die Beziehung des Menschen zu anderen Lebewesen verwirrend und problematisch ist. Das ist eine Ausrede. Ob Tiere nun einen Sinn für Fairness haben oder nicht, wir haben ihn ganz sicher, und wir haben die Möglichkeit, danach zu handeln.

Wenn wir andere Lebewesen zu schätzen wissen – im Urlaub, auf Geburtstagkarten und in Naturdokumentationen -, können wir nicht ignorieren, dass sie in Massentierhaltung gehalten werden oder vom Aussterben bedroht sind.“

Henry Mance, Mit Tieren leben – Warum wir das Verhältnis zwischen Mensch und Tier neu definieren müssen,
Kein & Aber Verlag 2021

(Kostet einen nicht ganz kleinen Preis, aber vielleicht ist es (wie hier in Bremen) schon erhältlich in Deiner lokalen Stadtbibliothek)

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In der Folge tauschten wir beide munter und voller Zuversicht bis ins Endspiel ab – er, um seine „Mehrfigur“ zu verwerten, ich dagegen, um seine schwarzfeldrigen Bauern“ besser angreifen“ zu können. In diesem Sinne folgte nun die lange Zugfolge …

… 0-0-0 19. a3 Kb7 20. Be3 c4 21. Kb1 Rc8 22. f4 Bh6 23. Qg2 Qxg2 24. Rxg2 Nb8 25. Kc1 Nc6 26. Kd2 Na5 27. Ke2 a6 28. Kf3 b5 29. Ne4 Rc6 30. Bd2 Kb6 31. Be3+ Kb7 32. Nc5+ Kc8 33. b4 cxb3 34. cxb3 Nb7 35. Rc1 Nxc5 36. Rxc5 Rxc5 37. Bxc5 Kb7 38. Rc2 Rc8 39. Rc3 a5 40. Ke4 Rc6 41. Bd4 a4 42. Rxc6 Kxc6 43. bxa4 bxa4 44. Be3

Mittlerweile hatte ich herausgefunden (aber nur sehr langsam), dass es an mir war, hier nun den Kampf um das Unentschieden zu führen. Es ist so: mit den Läufern auf e3 und h6 und dem weißen König auf d3 droht immer das subtile f4-f5! mit der Idee Lxe3, fxg6!, Lh6, g6-g7 und gewinnt.

Schwarz kann daher nur sehr bedingt zwischen f8 und h6 hin- und herpendeln, so dass Weiß versuchen kann, den schwarzen König durch Zugzwang (!) von der Deckung des vorgeeilten Bauern a4 abzubringen. Fällt aber dieser Bauer, bricht Weiß durch und erobert letztlich gewinnbringend auch den Bauern auf d7.

… Kb5 45. Kd4 Bf8 46. f5

Auch eine interessante Idee, aber vielleicht ein Bauernopfer ohne Not (Es war der 31. 12. 2002 in Hastings, Silvestertag, und darum bekam ich vielleicht diesen Bauern geschenkt).
Ohne zu überstürzen, hätte Weiß hier mit den Tempozügen 46.Ld2, Lh6 47.Kd3, Lf8 48.Le3 abwarten sollen. 48. … Lh6 wäre dann verhindert wg. f5!, und nach Kb5-a5 erobert Weiß das erst das wichtige Feld c4 und dann den Bauern a5 (Ideen von Ralf).

…gxf5 47. Bf4

Sehr kraftvoll – Schwarz wird nun einfach eingeschnürt.

Auch wenn man zugeben muss, dass das strategische Konzept des Blaubären (Ralf?) voll aufgegangen ist (den verbleibenden weißen Läufer schlecht machen und dann gewinnen), und auch wenn Schwarz zumindest in einem abstrakten positionellen Sinne wohl besser steht (Weiß hat einen Bauern weniger und einen Läufer, der NICHTS angreifen kann), ist es um ihn konkret doch schlecht bestellt.

Schwarz muss nun mit dem König weichen und der Bauer a4 fällt. Allerdings kann er noch etwas tricksen – der neu entstandene Freibauer auf f5 drängt nach vorne, und auch auf d6 werden nun überraschend Opfer möglich, sobald der weiße König sich nach a4 bewegt hat ….

…Kb6 48. Bd2 Kb5 49. Be3 Kc6 50. Bf4 Kb5 51. Bd2 Kc6 52. Kc4

Nach langem Zögern und mit nur noch 3 Minuten für die nächsten acht Züge stürzt sich Weiß in wilde Komplikationen – ist das das britische Kampfschach?

… Bxd6 53. exd6 e5

Nur so kann Schwarz noch ins Spiel kommen. Wenn erst 53. … Kd6, brauchen die Bauern zu lange, um selbständig ins Ziel zu kommen. Weiß kann derweil a4 erobern und mit seinem König dann in die Mitte zurückkehren.

Wird es ein Bauer bis zur Grundreihe schaffen, und wo sollen überhaupt die sieben Damen herkommen aus der Überschrift zu diesem Text?
Rechnet schon einmal selbst und schätzt das ein (= Hausaufgabe). Teil 2 von Blaubär Begins folgt in Kürze!

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Ui, das Feld a6? This must be the place.

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Olaf Steffens

FIDE-Meister seit 1997, seit 2007 Spieler für Werder Bremen in der Zweiten Bundesliga, Oberliga und Landesliga. Größte Erfolge: Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, Bremer Pokalsieger 2013! Größte Misserfolge: Werd´ ich hier lieber nicht sagen! Diplom-Handelslehrer, ich unterrichte an einer Bremer Berufsschule Englisch, Buchführung und Wirtschaft. Lest weiter hier: https://veganeschachkatzen.de/ueber-mich/

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