Mamma mia!
Das Leben kann so einfach sein, wenn man beim Schach ist? So formulierten wir noch reichlich naiv im Erstrundenbericht für das Open in Arco am Gardasee. Aber wirklich, ehrlich, echt – einfach das Leben, beim Schach?
Ganz im Gegenteil.
Manchmal nämlich reist man Hunderte von Kilometern, überquert wie einst Holger Hebbinghaus Hannibal die Alpen und freut sich auf bunt internationale Gegnerschaft. Und wer von 250 möglichen Opponenten setzt sich zu mir an den Turniertisch in der zweiten Runde? Grande sorpresa – Dr. Thorsten Meyer, ein alter oberligaerfahrener Bekannter aus Delmenhorst, was ja bekanntlich gleich um die Ecke von Bremen liegt!
Thorsten hatte am Vortag noch gescherzt, dass wir dann ja auch bald spielen könnten, hier in Arco. Dankend hatte ich noch abgewunken! Nun aber hatte mich Thorsten am Wickel, und im Wettlauf um den nächsten Turnierpunkt spielten wir über Stunden in der zweiten Runde.
Und was soll man sagen? Thorsten nutzte all meine fein ausgedachten ungenauen Züge schön aus, bügelte mich adrett vom Brett und verschaffte mir so einen Feierabend voller Agonie und mit der allerschönsten Sinnkrise. Ein weiterer Rückschlag für mich, auf dem Weg zum Weltmeistertitel? So ist es im Sport.
Viel hat Weiß in der Eröffnung nicht erreicht, aber – muss ja auch nicht! Die meisten Fehler passieren ohnehin ja immer erst später, der bessere Spieler setzt sich durch.
Ich dachte, nun ist es doch aber mal Zeit für eine Ansage im Zentrum, und erwog das flotte 1…. e7-e5. Nach 2.dxe5, dxe5 hatte ich – warum auch immer – nun nur mit einem Turmzug nach d1 gerechnet. Das hätte mir Zeit gegeben für 3…. Lc8-e6 und dann vielleicht Dc7, Schwarz steht ok.
Doktor Thorsten allerdings, so wie man ihn kennt!, antwortete auf mein 2….dxe5 mit dem schnöden, schönen Erfolgszug 3.Ld2-e3!. Kein komplizierter Zug, aber umso wirkungsvoller, als dass er nun ganz direkt meinen Springer auf b6 angreift.
Hatte ich nicht gesehen! Oh Mann.
Nach 3. Ld2-e3
Ich war verwirrt. Geht nun 3… Sb6-d5, denn da möchte man doch hin? Es geht, aber man muss wissen, wie man auf 4. Tf1-d1 reagieren kann. Zu schwer für mich.
Darum nach langem Grübeln das maue 3… Sb6-d7, übel passiv schon, und Weiß übernahm mit 4.Tf1-d1 die Mitte und bald auch die Partie. Totaler Einbruch, kein Tag für mich. Verdiente Niederlage.
Ihr, liebe Leserinnen, liebe Leser, könnt nun aber mal gucken:
a) Wie hätte ich alle Sorgen vermeiden können und in dieser Variante nach 1…..e7-e5 vielvielvielviel stärker spielen können?
b) Seht Ihr, wie Schwarz 3… Sb6-d5 rechtfertigen kann, trotz 4.Tf1-d1 und der Drohung c3-c4?
Hier die Auflösung zum Bericht der ersten Runde: Tutto bene – Runde 1 Auflösung
Im Turniersaal zu Arco – hier tanzten schon die Habsburger
Offenbar sind HH und ich der gleichen Meinung, nach 2.dxe5 ist Le6 „Gardez!“ anzuraten, also im Grunde die gleiche Idee in verbesserter Zugreihenfolge. 3.c4 gibt die Kontrolle über d4 auf, so dass nach 3. -dxe5 4.Le3 mit Sd4 entschäft wird, Figur nach c4 verliert eine solche und nach 3.Dc2 dxe5 ist Le3 nur noch halb so stark, weil des Sb6 dann nur einmal angegriffen ist.
3. – Sd5 4.Tfd1 lässt sich wohl mit Le6 rechtfertigen, der Bb7 ist extrem vergiftet und wird daher nicht geraubt. Auf das gefährlich aussehende 5.c4 ist ebenfalls Sa5 möglich (nötig). Die wD hat kein gutes Feld, nach Dc2 kann Sxe3 folgen.
Ups, so konkret!?
Die verrätselte Version war aber auch sehr schön.
Und Glückwunsch, Dir und Holger, die Varianten sind cool. Leider habe ich zwar die Drohung c3-c4, aber nicht mehr die sehr hartnäckige Antwort Sa5 gesehen. Das macht den Unterschied. Es ist klasse, wenn man das so tief in der Partie versteht.
Hey Holger Hebbinghaus, und hey, MiBu,
ich glaube, Ihr könntet auch prima als Orakel in Delphi arbeiten – das mit den rätselhaft verpackten Lösungsideen für beide Fragen bekommt Ihr echt großartig hin! Chapeau! 🙂
Schöne Grüße nach Bella Italia!
Zu Frage 1 gebe ich zu bedenken, dass man auf einen Schlagzug nicht unbedingt direkt wiedernehmen muss, schließlich ist Schach nicht Dame mit Schlagzwang. Zu Frage 2 beachte man, dass der weißen Dame nach Tfd1 noch ein Feld weniger zur Verfügung steht, wenn sie denn mal angegriffen würde.
Du sprichst in Rätseln, aber es ist sehr schön, und ich glaube, es sind sehr gute Ideen.
Ach wär‘ ich ein IM! Vielleicht hätte ich dann auch genauer oder hartnäckiger hingeschaut. So aber …. 🙁
Verläuft die Kausalitätskette nicht in der Gegenrichtung – weil man (u.a.) genauer hinschaut, ist man IM (oder wenigstens FM mit einer Elo-Zahl, die höhere Weihen nicht völlig illusorisch erscheinen lässt)? Wie dem auch sei, der Damenläufer ist m.E. nicht ganz so glücklich darüber, dass er die Verbindung der Schwerfiguren stört; und mit …h6 nebst …e5 hast du ihm doch bereits ein schönes Feld bereit gestellt, auf dem er vor lästigen Nachstellungen sicher ist…