Bilbao und seine Bande
In unserer beliebten Serie „Ischa schon ein bisschen her“ blenden wir heute verwegen zurück in das Jahr 2014. Denn wie es der Zufall so will, erschien fast genau am 09.September unser Vorbericht zum großen europäischen Pokal der Vereine, ausgetragen damals in –> Bilbao!
Mit am Start der Weltmeister Magnus Carlsen, damals noch etwa zehn Lenze jünger, aber schon sehr stark. Während wir Werderaners uns im Mannschafts-Open quälen mussten, hatte man für Magnus im selben Saal ein Viererturnier mit – die Erinnerung mag täuschen – Levon Aronian, Vishy Anand sowie Ruslan Ponomariov angesetzt, das er letztlich souverän gewann.
Auch wir eher amateurigen Grün-Weißen hatten eine aufregende Zeit mit der Weltelite! Und die erste Runde gewannen wir sogar mit 5:1 gegen ein starkes, sehr sehr starkes russisches Team rund um Gata Kamski – oder so wurde es vermeldet im Netz. Schön, schön!
Leider aber stellte sich unser großer Erfolg als Eingabefehler heraus, und tatsächlich hatten wir mit 5:1 satt verloren. Enttäuschung!
Trotzdem war es toll. Spanien, Schach, große Meister, und Athletic Bilbao – Semjon Bart machte sich auch gleich auf den Weg, um ein Spiel des baskischen Dauerbrenners live im Stadion zu sehen. Hola!
Ich zog am Abend nach der Runde leider kurzfristig zurück und ging mit den anderen Calzone essen. War auch lecker, aber den verpassten Stadionbesuch bedauere ich noch immer. Lebensweisheit für alle LeserInnen: zum Fußball in Spanien immer mitgehen!
Hier der Vorbericht zum ECC in Bilbao, vom 11.September 2014, erschienen bei Schach-Welt.de. Heute hier noch einmal, und mit großer Überschrift!
Bilbao und seine Bande
Schach-Europapokal ab Sonntag im Baskenland
„Bill Bo und seine Bande
zogen lang schon durch die Lande,
jetzt hat man sie gefangen,
nun müssen sie auch hangen“
(Augsburger Puppenkiste)
Tja, das war sicherlich nicht schön für Bill Bo, den alten Räuberschach-Hauptmann, und seine Mannschaft – gefangengenommen vom Herzoglich-Bayerischen Regiment aus Alheim und nun, nachdem sie im Lande bereits allerlei Schindluder getrieben haben, von der Höchststrafe bedroht. Doch das ist das Gute an der Augsburger Puppenkiste – zum Glück geht es am Ende wohl doch noch irgendwie gut aus, sogar aus Räubersicht.
In einer ähnlich kniffligen Lage wie Hauptmann Bill Bo befinden sich ab dem kommenden Sonntag auch einige der Teams, die zum Europapokal der Landesmeister nach Bilbao reisen werden.
Auf dem Papier und wohl erst recht am Brett gehen sie im Baskenland als Außenseiter und ohne große Chancen ins Rennen, die kleineren Mannschaften aus Butrinti (Albanien), Edinburgh und Bon Accord (Scotland!) oder auch die offizielle Vertretung Dänemarks, die Bronshoj Skakforening.
Zwar werden sie sich alle wacker ins Getümmel werfen, doch wie das so ist in unserem Sport – die ELO-Zahlen und die damit verbundenen Wahrscheinlichkeiten setzen vielen Hoffnungen schon vor Spielbeginn ein nüchternes Ende.
Und schon kann man erahnen, dass die drei intergalaktisch starken russischen Vereine SHSM Moskau (mit Alexander Morozevich), SPB St Petersburg (mit Petr Svidler!) und Malakhite (mit Alexander Grischuk, Sergey Karjakin, Peter Leko und Alexej Shirov) selbst in den schlimmen Zeiten des Ukraine-Konflikts energisch um den Titel mitspielen wollen. Doch Vorsicht!, denn da gibt es ja noch ein paar weitere Interessenten:
– Obiettivo Risarcimento aus Italien (mit Fabiano Sieben-auf-einen-Streich Caruana, und dazu Nakamura und Lagrave!)
– SOCAR aus Aserbeidschan (Giri, Kobobov, Wang Hao, Topolaf, und und und und)
Dazu natürlich der Titelverteidiger, der sensationelle Vorjahressieger aus Tschechien:
– G Team Novy Bor (Sasikiran, Harikrishna, Navara und weitere starke GMs)
Future Town Bilbao
Wie es sich für einen zünftigen Europapokal gehört, sind wieder allerhand Regeln in Kraft, die den Wettbewerb noch ein wenig würzen:
– Kein Remisangebot vor dem 40.Zug – das Gebot lautet „spielen, spielen, spielen“. Ungewohnt, unheimlich, unnötig – und wahrscheinlich erst einmal sehr gewöhnungsbedürftig für Turnier-Neulinge
– Pünktliches Erscheinen zur Partie wird honoriert, jede minimale Verspätung sanktioniert – es gilt wie bei allen großen FIDE-Veranstaltungen zero tolerance.
Müßig wahrscheinlich, dagegen noch anzumurren, die Argumente wurden ja schon vielfach ausgetauscht. Trotzdem kommt mir diese drastische Strafe unangebracht vor – wer zu spät erscheint, verliert ja ohnehin schon Bedenkzeit, und der Gegner kann das Spiel auch problemlos ohne ihn in Gang setzen (anders als im Fußball oder Tischtennis) und hat dadurch keine wesentlichen Nachteile. Warum also Null Toleranz? Wie bei der Olympiade in Tromsö ist dies auch jetzt in Bilbao eigentlich ziemlich unnötig.
– Es gilt der Dresscode der Europäischen Schachunion (ECU) – da sollte man wohl lieber noch mal schnell nachlesen, was konkret gefordert wird. Wie sieht es aus mit kurzen Hosen, und darf man beispielsweise Sandalen und Socken miteinander kombinieren?
Aus welchem Land kommt dieser Spieler?
Im Frauenwettbewerb des European Club Cup startet als deutsche(r) Vertreter(in) der SV Bad Königshofen.
Zeitgleich mit dem Europapokal wird in Bilbao auch wieder das Grand Slam Masters Final stattfinden, für das sich in diesem Jahr Paco Vallejo, Vishy Anand, Levon Aronian und Ruslan Ponomariov qualifiziert haben.
Der Europapokal, unendliche Weiten
Die von Jürgen Kohlstädt geleitete Bundesliga entsendet mit der SG Solingen, dem SV Mülheim Nord, den SF Berlin und dem SV Werder Bremen (hey hey) in dieser Spielzeit glatt vier gediegene Rigen ins Rennen, und auch hier sind einige Mannschaften schon wieder stärker als andere. Wo bleibt da die innerdeutsche Solidarität?
Denn während die Westteams und vor allem die Solinger mit jeweils vier internationalen Großmeistern sehr passabel aufgestellt sind, setzen die anderen beiden Mannschaften nur einen (Rainer Polzin von den Chessfriends) oder, wie soll man sagen, gar keinen Großmeister (Werder Bremen) in das Flugzeug nach Spanien.
Im Titelrennen werden es diese beiden Clubs damit wohl ähnlich schwer haben wie The Smashing Pawns aus Belvaux (Luxemburg) und die Grantham Sharks aus England – doch letztlich, wir erinnern uns, ist Schach ja eigentlich nur ein Spiel, und wichtig ist überhaupt erst einmal, dass man dabei ist.
Nicht alle mögen dieses Grün, aber zusammen mit den Schachbrettern sieht es doch eigentlich ganz schön aus
Die Profis der Werder-Schachabteilung hatten mit einem feinen fünften Platz in der vergangenen Bundesliga- Saison als Nachrücker einen Startplatz für den Europapokal erhalten.
Im Gegensatz zu früheren Jahren spielen die grün-weißen Werderaner in Bilbao diesmal jedoch die Amateurkarte und halten der geballten Gegnerschaft in den sieben Runden eine gefährliche FIDE-Meister-Mittelachse entgegen (Stephan Buchal- Joachim Asendorf- Matthias Krallmann- Olaf Steffens), eine neue Werder-Raute sozusagen, einen Bremer Kreisel, und dagegen werden SOCAR, Malakhite, Petr Svidler und Bronshoj Skakforening erst einmal ein Mittel finden müssen.
Vorne bei den Bremern sorgt der erfahrene IM Gerlef Meins für die nötige Umsicht, und an den anderen beiden Brettern bieten die Hansestädter mit Sascha Pollmann (Ostwestfälische Schachschule) und dem quasi unschlagbaren Semjon Bart zwei weitere Spieler mit großem Potential auf.
Norddeutsches Schachteam bei Bier und Paella (Alle Fotos von Bill Bo: Ute Kirchhof, http://digital-kunst.npage.de/ – herzlichen Dank!
Ob es für Werder reichen wird, und wofür eigentlich, wird sich ab Sonntag in Bilbao zeigen. So ein Turnier kann lang und ernüchternd sein, wenn die gegnerischen Mannschaften nicht nett sind.
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Wenn es in den sieben Runden nun aber gar nicht laufen sollte, bleibt den Bremern (und allen anderen Teilnehmern) immer noch die gute spanische Paella, die schöne Sonne des Baskenlandes – und der Gedanke an Bill Bo, denn auch der ist nach seinen Abenteuern meist glücklich und zufrieden wieder nach Hause zurückgekehrt.
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